Keine Impfpflicht in der Schweiz

 

«Es wäre mühsam bei einem Patienten mit Husten und Fieber zu erkennen,ob das ein Grippe- oder Covid-Fall ist», sagte der Tessiner Kantonsarzt GiorgioMerlani letzte Woche in den Schweizer Medien. Deswegen will er, dass sichmöglichst viele Menschen gegen die saisonale und im Herbst wie das Amen in derKirche eintreffende Grippe impfen lassen. Spätestens jetzt und sowieso nachdemdie Boulevard-Medien sich mit Meldungen über die ignorante Party-Meute undSuper Spreaders fast stündlich überbieten, ist das Thema «Impfzwang» wieder inaller Leute Munde. Schon bringen sich notorische Impfgegner in Stellung,schreien laut gegen die Gesundheitsdiktatur von Bund, WHO und Pharmaindustrie,propagieren die unantastbaren Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen und mancheiner sieht darin gar eine Gates-Verschwörung.

 

Impfgegner stellen die Notwendigkeit, die Wirksamkeit und die Sicherheiteiner Impfung meist konsequent in Frage. Diskussionen mit Impfgegnern werdenschnell emotional und wenig rational. In den sozialen Medien schlägt unter demDeckmantel der Meinungsfreiheit die Diskussion in Hetze um. Hetze gegen «die daoben» von populistischen Motzern da draussen. So gefährdet die so hoch gelobtepersönliche Freiheit die Gesundheit der Anderen. Deckt damit das Thema eklatantdie Grenzen der Demokratie auf? Ist eine zivilisierte Gesellschaft nur sogescheit, wie ihre dümmsten Ignoranten? Die WHO zählt denn auch dieImpfignoranten zu den zehn grössten globalen Gesundheitsbedrohungen überhaupt.

 

Die freiheitsliebende Schweiz ist von einem Impfzwang noch weit weg. DasProblem bei alledem ist, dass die Impfung eine individuelle Handlung undgleichzeitig eine Frage der öffentlichen Sicherheit ist. Bei uns halten wirderzeit die Selbstbestimmung höher als der eigentliche Zwang. Der Eingriff indie Persönlichkeitsrechte wäre unverhältnismässig und unschweizerisch. Diegelebte solidarische Verantwortung jeden Bürgers zahlt sich bislang aus: DieDurchimpfungsrate in der Schweiz ist im Vergleich zu Ländern mit einerImpflicht meist unwesentlich tiefer. Damit scheint in der Schweiz das Argumentder Selbstbestimmung, des Vertrauens und der Transparenz besser zu greifen.

 

Eine Impfpflicht in der Schweiz wird es kaum geben. Während derCOVID-19-Pandemie appellierte der Bund stets auf Selbstverantwortung undSolidarität und hat damit keinen wirklich schlechten Job gemacht. Auch dieSwiss-Covid-App basiert auf eben diesen Gedanken. Mittlerweile haben immerhinüber 1 Mio. Bürger die App heruntergeladen. Wer jetzt Angesichts der gesternabgelaufenen Vernehmlassung zum Covid-19-Gesetz mit hetzerischer Polemik diedarin aufgeführte Möglichkeit der Impfpflicht an den Pranger stellt, verkenntdie bisherige Solidaritäts-Strategie des Bundes. Eine Impfpflicht wäre sowiesonur dann gegeben, wenn sich das noch herzustellende Serum höchst wirksam unddie Gesundheitssituation höchst bedrohlich zeigt.

 

Schwierigkeiten wird es aber mit der Durchmischung der saisonalen Grippeim Herbst geben. Die Angst bei jedem Husten, kaum Fieber und Gliederschmerzendoch an Corona erkrankt zu sein, wird gross. Wieso nicht in diesem Jahr dieGrippeimpfung machen lassen? Impfungen gehören bei gesunden Menschen zu den amhäufigsten angewandten medizinischen Massnahmen, sind zwar nicht risikofrei,aber doch ein bewährtes und vor allem solidarisches Mittel, um sich und anderezu schützen.

 

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